Viele Grüße aus LEJ

Poststempel 2.12.83

Meine Liebste Tante Maria!
Die herzlichsten Grüße an Dich und alles Gute wünscht Dir Dein Pepi.
Ich bin in Leipzig von meiner Firma auf 2 Tage. Vielen Dank für die Überraschung bei Brigitte. Brief folgt!

Bei ihm wurden Geburtstage gefeiert. Mit Luftschlangen, Torte und Papphüten. Es wurde gesungen und mit Schaumwein angestoßen. Man schwelgte in Erinnerungen. Es wurden lustige aber auch peinliche Geschichten erzählt. Letzteres, wenn alle mehrere Gläser Schaumwein intus hatten. Und dann wurde gesungen und getanzt. Das wurde es auch auf Feiern von Tante Maria. Aber irgendwie ungezwungener. Cooler. Die Gäste hatten schönere Kleider an. Sie bewegten sich besser im Takt. Und sie hatten so viel tollere Erinnerungen zu erzählen. Alles war so viel toller bei Tante Maria. Warum konnte sie nicht seine Mutter sein? Dann wäre bestimmt vieles anders. Sie schwebte in ihren Kleidern durch den Raum. Sie war immer halb transluzent, aber wenn er Kummer hatte und wirklich was auf dem Herzen, dann war sie voll da. Mit Haut und Haar. Nahm in ernst. Jetzt mit 21, mit 18, mit 13, mit… wann war er das erste mal bei ihr gewesen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Aber er wusste, dass er sich in der Eckbank eine Höhle gebaut hatte. Mit wieviel Jahren baut man sich eine Höhle? Und wann hört man damit auf? Hört man jemals damit auf? Jetzt hatte er sich in seine Höhle verkrochen, in die auch Brigitte nicht mehr rein kam. Und seine Eltern? Sie machten sich wie immer Sorgen, anstatt einfach mal zu fragen, was los ist. Ja, er war jetzt  einundfuckingzwanzig! Und ja, alles lief super, so sah es aus. Aber er war einfach nicht glücklich.

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