Poststempel 11.9.1959
Liebe Frau L.
eine kurze Reise führte mich nach Wien, deshalb habe ich mich jetzt nicht bei Ihnen melden können! Am 16. Sept. bin ich wieder in Berlin. Leider, hier gefällt es mir wundervoll! Bis bald in B. Viele herzliche Grüße von Ihrer Inka E.
Sie nahm den Koffer aus dem Schrank. Oh welch Vorfreude. Morgen Mittag würde sie schon in einem Kaffeehaus sitzen und sich über das wienerisch der Kellnerin freuen. Über dem Koffer war ein kleines Fach mit abgegriffenen Din A 4 Seiten. Sie waren sortiert nach Anzahl der Reisetage und Jahreszeiten. Sie ging die Blätter durch bis sie „Fünf Tage Herbst“ in der Hand hielt. „Fünf Tage Herbst“ beinhaltete sechs Unterhosen – einen für jeden Tag plus einen in Reserve, genauso wie sechs Paar Socken, 2 Unterhemden, einen Schlafanzug. Die Kleidung war ausgelegt auf fünf Tage Altweibersommer, sowie fünf Tage Dauerregen. Das war jedes Mal eine Herausforderung, alles in den Koffer zu kriegen. „Fünf Tage Winter“ und „Fünf Tage Sommer“ war einfach, aber bei „Fünf Tage Herbst“ musste man geschickt sein. Strickjacken waren hier gefragt; weil man sie zur Not auch über einen Pullover zeihen konnte, wenn es besonders kalt sein würde. Man brauchte Kleidungsstücke, die man übereinander ziehen konnte, die aber auch alleine schick aussahen. Bevor sie den Koffer und das passende Din A 4 Blatt in ihr Schlafzimmer trug, ging sie in die Küche und öffnete eine Flasche Winzersekt aus dem Kühlschrank. Das Packen war für Inka bereits der Beginn der Reise. Sie schenkte sich in ihr bestes Kristallglas ein und tänzelte mit Glas, Koffer und Din A 4 Blatt in ihr Schlafzimmer, wo ihr Schrank links neben dem Bett stand. Sie öffnete die Türen und legte die ausgewählten Kleider sorgfältig auf ihr Bett, um alles anhand der Liste zu überprüfen. Sie hakte alles mit einem Bleistift ab, so konnte sie die Haken für die nächste Reise wieder wegradieren. „Fünf Tage Herbst“ hatte sie noch nicht oft benutzt. „Zehn Tage Sommer“ war die meist genutzte Vorlage. An den Stellen, an denen sie abhakte, war das Papier schon ganz dünn geworden. Sie hatten sogar schon mal mit dem Gedanken gespielt, sich eine nächste Reise nach den Din A 4 Vorlagen auszusuchen. Eine, die sie am wenigsten genutzt hatte war 14 Tage Winter. Aber wo sollte sie die denn auch verbringen? Inka bevorzugte Reisen bei warmen Temperaturen ausgenommen Skireisen, aber das war ein Sonder Din A 4 Blatt. Das Bett war nun voll mit Kleidungsstücken und sie tänzelte zurück in die Küche um sich nachzuschenken. Es kribbelte so schön im Bauch und durch den Winzersekt nun auch schon etwas im Kopf. Sie verschwand mit ihrem Glas im Badezimmer und öffnete die Kosmetiktasche. So oft wie sie verreiste, hatte sie alle Cremes, Tiegel, Shampoo und Seifen, die sie brauchte in doppelter Ausführung und von allem eins immer für die nächste Reise bereits verpackt. Es fehlte nur eine neue Zahnbürste und die Nagelschere, Feile und Pinzette musste noch aus dem Spiegelschrank geholt werden. Zurück im Schlafzimmer packte sie alles zusammen und wie vermutet spannte der Reisverschluss beim Zumachen. Sie stellte das Glas bei Seite, setzte sich auf den Koffer und schloss die letzten Zentimeter mit großer Anstrengung. Geschafft. „Jetzt kann’s losgehen“ sagte sie laut zu sich.